
(Medientage, 2019) Moderiert wurde die lebendige mehrteilige Diskussion von Tanit Koch (Mediengruppe RTL Deutschland). Sie trat die Nachfolge von Klaas Heufer Umlauf an und leitete Souverän durch den Auftakt. Zu Begin appellierte Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Vorsitzender der der Medien.Bayern GmbH, an demokratische Grundwerte. Angesichts von Fake News, Desinformation und Hate Speech müssten Werte wie Meinungsfreiheit, demokratische Öffentlichkeit und digitale Selbstbestimmung auch in der Online-Welt gesichert werden. Einen sichtlich guten Tag hat auch der bayerische Ministerpräsident erwischt.
Markus Söder, gewohnt ausgestattet mit bayerischem Selbstbewusstsein, bekennt sich als „Fan“ der Medien; schließlich hat er selbst bei den öffentlich rechtlichen eine steile Karriere bis hin zum Fernsehrat hingelegt. Allerdings hat er nicht nur positive Worte mitgebracht. Zwar stärkt er dem öffentlich-rechtlichem Rundfunk den Rücken, denn ohne diesen sei die Medienwelt ärmer. Dennoch muss gerade im digitalem nachgearbeitet werden, hierfür müssen aber gewisse Rahmenbedingungen, vor allem seitens der Politik (Staatsvertrag, Zulassungsverfahren, Regulierungen im werblichem Bereich), geschaffen werden. Public-Value-Ideen müssen diskutiert werden sowie eine starke gemeinsame Plattform europäischer Medienanbieter, um den großen Techs aus Amerika die Stirn bieten zu können.

Zeynep Tufekci, die als Technologie-Soziologin an der University of North Carolina Chapel Hill forscht und lehrt, hielt die Keynote und erklärte, welchen Einfluss Machine Learning trainierte Algorithmen auf die Meinungsbildung haben. So hätten etwa die YouTube-Empfehlungsalgorithmen dazu geführt, dass Wähler im vergangenen US-Präsidentschaftswahlkampf politisch „immer extremere“ Inhalte angezeigt bekommen hätten. Die Folgen seien die Radikalisierung der Nutzer und eine Fragmentierung des Publikums, gesamtgesellschaftlich zunächst kaum wahrgenommen worden sei. Ähnliche Effekte beschrieb Tufekci auch für Facebook. Das alles führe schnell zu Filterblasen und Polarisierung, bewirke in der Summe schließlich eine Art „kollektive Verschmutzung“ des Meinungsklimas. Als Alternative zu „autoritären Infrastrukturen“, wie sie im Silicon Valley oder in China geschaffen würden, empfahl die US-Professorin, in Europa Tools und Empfehlungsalgorithmen zu entwickeln, von denen Werte wie Datenschutz, Meinungsvielfalt und Privatsphäre geschützt werden.

Ulrich Wilhelm schlug eine neue gesamteuropäische Plattform-Initiative vor, um der Macht von Google und Facebook etwas entgegenzusetzen. Der Intendant des Bayerischen Rundfunks und ARD-Vorsitzende regte ein komplett neues Ökosystem für Browser, Suchmaschinen und Empfehlungsalgorithmen an, das ähnlich wie die AirbusFlugzeuge durch eine Art europäisches Konsortium realisiert werden könne. Conrad Albert, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von ProSiebenSat.1 Media, mahnte, es bleibe nicht mehr viel Zeit, um geeignete Lösungen zu entwickeln. Er warnte vor der ökonomischen Macht der Online-Konzerne aus den USA und vor der antidemokratischen Wirkung eines „eskalierenden Automatismus an extremen Effekten bei Social Media.“ Corinna Milborn, Informationsdirektorin des österreichischen TV-Vollprogramms Puls 4, forderte, Facebook und Google müssten sich medien- und steuerrechtlich endlich an die geltenden Regeln halten. Auch sie sprach von mehr Kooperation und davon, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein „Gegenpol“ zu den Unternehmen aus dem Silicon Valley bilden müsse. Deshalb habe sie kein Verständnis dafür, wenn die ARD anderen TV-Programmanbietern ihr Filmmaterial nur gegen Entgelt überlasse, während dieselben Bilder zugleich bei Facebook gepostet würden. So werde der Konkurrenz zu mehr Reichweite verholfen, ohne dass Facebook etwas dafür zahlen müsse. Dazu gebe es keine Alternative, entgegnete der ARD-Vorsitzende Wilhelm. Schließlich würden Facebook und Google inzwischen so etwas wie eine öffentliche Infrastruktur bilden.
Jesper Doub, der Facebook als Director News Partnerships für den Wirtschaftsraum Europa, Naher Osten und Afrika (EMEA) arbeitet, räumte ein, der Social-Media-Marktführer habe am Anfang „eine ganze Menge Fehler gemacht“. Jetzt aber bemühe sich das Unternehmen darum, seiner Verantwortung gerecht zu werden. So starte demnächst in den USA beispielsweise ein neues Facebook-Angebote mit dem Arbeitstitel NewsTab. Dort werde in Kooperation mit Medienunternehmen ausschließlich professioneller Journalismus angeboten, der nicht unmittelbar auf Reichweite abziele, sondern auf Nachrichtenwert und Aktualität.
Heike Raab, Staatssekretärin und Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa, Medien und Digitales, berichtete, bei den Verhandlungen des neuen Medienstaatsvertrages würden die Themen Transparenzgebot und Diskriminierungsverbot in puncto digitale Plattformen ganz oben auf der Agenda stehen. Als Staatssekretärin von Rheinland-Pfalz ist Raab für die Rundfunkkommission zuständig, in der die Bundesländer die Medienpolitik koordinieren. Sie kündigte an, im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz auf Schloss Elmau, die in diesem Jahr parallel zu den MEDIENTAGEN MÜNCHEN stattfindet, solle der neue Staatsvertrag „auf die Zielgerade“ gebracht werden. Die Staatssekretärin versprach für die Regulierung einen „Paradigmenwechsel“. Im Vordergrund würden dabei kommunikative Chancengleichheit und Vielfaltssicherung stehen.
Im Mittelpunkt weiterer Diskussionen des Medientage-Gipfels standen neue Geschäftsmodelle. Dominique Delport, Président International von Vice Media, erläuterte, wie das Lifestyle- und Jugendmagazin weltweit versucht, in 25 Sprachen eine junge Zielgruppe über unterschiedliche Kanäle anzusprechen. „Wir lassen junge Leute andere junge Leute interviewen“, beschrieb Delport das Konzept von Vice, das dem Unternehmen zuletzt sechs Emmy-Preise bescherte. Dabei spielten Algorithmen keine Rolle. Ganz anders bei YouTube: Dort bedeutet Recommendation, dass Algorithmen Nutzern gezielt Empfehlungen geben. Andreas Briese, der bei Google für Partnerschaften in Zentraleuropa zuständig ist, erklärte, ursprünglich sei der YouTube-Algorithmus auf möglichst viele Klicks, später auf eine maximale Verweildauer ausgerichtet gewesen. Inzwischen gehe es darum, gezielt Videos zu offerieren, die Vielfalt bieten würden, um Themen aus der Nische zu Mainstream-Inhalten zu machen.
Dass die Internetökonomie zunehmend auf Algorithmen angewiesen ist, bestätigte auch Ringier-Geschäftsführer Marc Walder. Data-Analytics-Prozesse seien mittlerweile von enormer Bedeutung für den Werbe- und Konsumentenmarkt. Um online für die Werbewirtschaft attraktiver zu sein, habe sich in der Schweiz eine Allianz gebildet, die Lesern den Zugang zu ihren Online-Inhalten künftig nur noch erlaube, wenn sie sich einmalig einloggen. Anschließend aber hätten die Leser die Wahl, ob sie dauerhaft der Verwendung ihrer Nutzerdaten zu Werbezwecken zustimmen oder nicht. Dass nach der Print-Branche auch das lineare Fernsehen in den Sog von Online-Geschäftsmodellen gerät, machten alle Diskussionsteilnehmer deutlich. Zwar sei das klassische Fernsehen nicht tot, argumentierte Susanne Aigner-Drews, Senior Vice President von Discovery. Allerdings müssten Bewegtbildinhalte überall dort angeboten werden, wo die Konsumenten seien – also auch im Internet. Fred Kogel sprach in diesem Zusammenhang von einem „Konsolidierungsprozess“. Kogel gründete gemeinsam mit dem Finanzinvestor KKR in den vergangenen Monaten die Unternehmensgruppe Leonine. Als ein „Home of Talents“ entstehe ein Content-Haus, das Inhalte für Kino und Fernsehen in den Sparten Entertainment, Fiction, News und Dokumentation produzieren werde, kündigte Kogel an. Erfolg bedeute künftig vor allem, sehr klein und sehr kreativ in der Nische zu agieren oder sehr groß für den Mainstream zu produzieren werden, argumentierte Susanne Aigner-Drews, Senior Vice President von Discovery. Allerdings müssten Bewegtbildinhalte überall dort angeboten werden, wo die Konsumenten seien – also auch im Internet. Fred Kogel sprach in diesem Zusammenhang von einem „Konsolidierungsprozess“. Kogel gründete gemeinsam mit dem Finanzinvestor KKR in den vergangenen Monaten die Unternehmensgruppe Leonine. Als ein „Home of Talents“ entstehe ein Content-Haus, das Inhalte für Kino und Fernsehen in den Sparten Entertainment, Fiction, News und Dokumentation produzieren werde, kündigte Kogel an. Erfolg bedeute künftig vor allem, sehr klein und sehr kreativ in der Nische zu agieren oder sehr groß für den Mainstream zu produzieren.