Das Medium Audio lebt durch und von Emotionen

(Medientage, 2019) Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, private Hörfunkanbieter, Streaming-Dienste und Plattformen für Audio-Produktionen stehen gemeinsam vor einer zentralen Herausforderung: Als marktbeherrschendes Unternehmen hat sich Amazon in den vergangenen Jahren als neuer Gatekeeper zwischen die Anbieter von Inhalten und die Nutzer gesetzt und reguliert de facto damit die Zugänge zu den Online-Märkten. Diese Entwicklung ist insofern für die Hörfunk-Branche problematisch, als die Hörerinnen und Hörer zunehmend Musik und Wortbeiträge über sprachgesteuerte Assistenten wie „Alexa“ – eine Entwicklung von Amazon – abrufen und konsumieren. Bei der Auswahl der auf Hörerwünsche präsentierten Inhalte bevorzugt der Amazon-Algorithmus meist eigene Inhalte, wenn die Radioprogramme ins Hintertreffen geraten. Diese Kritik äußerten Experten der deutschen Hörfunk-Branche während des Audio-Summit der MEDIENTAGE MÜNCHEN. Dennoch prognostizierten alle Teilnehmer des Audio-Summits allen Formen von Audio-Produktionen weiterhin hohe Wachstumsraten und steigende Nachfrage in verschiedensten Bevölkerungssegmenten.

 

Zu Beginn des Audio-Summits hatte Steve Boom, Global Vice President von Amazon Music, berichtet, dass der Markt für Musiknutzung weiter rasant wachse. Dies liege vor allem an neuen Geräten, die die Steuerung der Musikauswahl dank Sprachbefehlen erleichtern. Zudem seien inzwischen neue Abspielmöglichkeiten geschaffen worden, die Audio-Inhalte überall und einfach nutzbar machen können. Amazon, so erklärte Boom, arbeite nun an der Verbesserung der technischen Qualität der Audio-Inhalte und habe mit seinem neuen Dienst „Amazon Music HD“ eine neue Stufe des Klangerlebnisses geschaffen. Für die Zukunft prognostizierte er weitere Wachstumspotenziale für die Audio-Branche, die zu einem Großteil mit dem Setting „Auto“ zusammenhingen.

 

Die anschließende Podiumsdiskussion wurde mit einem Werkstattbericht aller Teilnehmenden eingeleitet, die über aktuelle Vorhaben und Probleme in Produktion und Verbreitung von Audio-Inhalten berichteten. Valerie Weber, Programmdirektorin NRW, Wissen und Kultur beim Westdeutschen Rundfunk (WDR), zeigte sich überzeugt, dass mit der Etablierung von sprachgesteuerten Assistenten die Reichweite der Programme wachse, weil diese Geräte von anderen Zielgruppen als den klassischen Radiohörern genutzt würden. Darüber hinaus würden Audio-Formate nun in neuen Räumen und bei anderen Gelegenheiten abgerufen. Das stelle sowohl den WDR als auch alle anderen Produzenten von Inhalten vor die Herausforderung, an diese neuen Situationen angepasste Programme zu erstellen. Nach Ansicht von Stephan Schmitter, Geschäftsführer von RTL Radio Deutschland, stellt sich vor diesem Hintergrund eine weitere Frage. Wie kann es gelingen, die Kontrolle über den selbst produzierten Content zu behalten und die Verwertung und Monetarisierung nicht ausschließlich den Global Playern wie Amazon zu überlassen?

 

Mit „Audio now“ habe RTL einen Weg eingeschlagen, der sich derzeit auch für Publisher wie die BBC oder Die Zeit als attraktiv erweise. Für diese Podcast-App stellen Medienhäuser ihre Inhalte in einem sehr transparenten Verfahren zur Verfügung – Wettbewerbsverzerrungen durch Algorithmen seien ausgeschlossen.

 

Der Faktor des lokalen Bezugs der zur Verfügung gestellten Audio-Inhalte spielt für den Musikstreaming-Dienst Deezer eine entscheidende Rolle. Ralph Pighin, Senior Vice President Asia & Africa des Audiostreaming-Anbieters, sieht technologische Entwicklungen ebenfalls als Treiber für den Audio-Markt. Deezer werde sich zwar weiterhin auf Musikangebote konzentrieren, profitiere aber auch von der gewachsenen Nachfrage nach Podcasts und werde das Angebote entsprechen-der Formate ausweiten. Deezer produziert selbst, kooperiert aber auch mit anderen Publishern.

 

Das Medium Audio lebe geradezu von der Möglichkeit, durch Emotionalität und individuelle Ansprache der Hörerinnen und Hörer Marktanteile zu generieren, erklärte Caroline Grazé. Die Geschäftsführerin von Radioplayer Deutschland appellierte an ihre Kolleginnen und Kollegen, die Faktoren Mensch und Empathie für die Hörerschaft ins Zentrum der Arbeit zu rücken. Die sprachgesteuerte Suche von Audio-Inhalte bleibe zwar eine große Aufgabe; Moderatorinnen und Moderatoren als Markenbotschafter der Anbieter sowie die gezielte Ansprache der Kunden schaffe trotz aller Hindernisse Nähe und Verbundenheit mit den Nutzern.

 

Nicht alles, was digital möglich scheint, ist aber auch sinnvoll: Wenn beispielsweise die Stimme eines Moderators und seine Art der Höreransprache zum Markenkern eines Anbieters werden könne, dränge sich die Überlegung auf, ob man nicht dieses Alleinstellungsmerkmal „technisch reproduzieren“ solle, sagte Julian A. Kramer, Chief Experience Ambassador für Europa, Naher Osten und Afrika bei Adobe. Dabei würde Software bestimmte menschliche Stimmen nachahmen. Um Kosten zu sparen würden bereits heute Wetter- oder Verkehrsnachrichten über diese automatisierten Text-to-Speech-Applikationen verbreitet. Seine Firma arbeite zwar an solchen Technologien, sehe sich aber im Hinblick auf potenzielle Missbrauchsfälle in einer gesellschaftlichen Verantwortung. Adobe unterstütze aber die Weiterentwicklung von Audio-Produktion und -verbreitung. Kramer beschrieb zudem Möglichkeiten der Umgehung von Sprachassistenten durch andere Smart-Speaker-Plattformen, um eine Monopolisierung des Marktes zu verhindern. Im Übrigen sehe er noch enorme Potenziale in der Mehrfachverwertung von Audio-Inhalten – die dann allerdings personalisiert werden müssten.