
„Licht gegen die neue Dunkelheit“, so betiteln die Autoren der Süddeutschen Zeitung Anika Blatz, Christoph Koopmann und Carina Seeburg ihr lesenswertes Essay und liefern ein unglaubliches Plädoyer für seriösen Journalismus. Tatsächlich steht die etablierte Medienlandschaft in Zeiten von Corona unter enormen Druck. Auf der einen Seite ist seriöser Journalismus in der Krise gefragter denn je und trumpfen mit sagenhaften Leser-, Höhrer- und Zuschauerzahlen auf; auf der anderen Seite müssen Redaktionen in Kurzarbeit geschickt werden, da Werbegelder aufgrund der schweren wirtschaftlichen Lage fehlen. Hinzu kommt ein weiteres Phänomen: Unsichere Zeiten liefern „alternativen“ Medien, so scheint es, einen besonderen Nährboden für Verschwörungen.
Die Corona-Pandemie hat die Welt in einem noch nie dagewesenen Ausmaß getroffen: Ein Virus bringt den blauen Planeten und viele der von Menschen geschaffenen globalen Strukturen zum Erliegen. Der Informationsbedarf ist größer denn je und Politik sowie Wissenschaft rücken ins Zentrum des öffentlichen Interesses und somit auch der journalistischen Berichterstattung. Es gilt: Komplexe Inhalte müssen seriös aufgearbeitet und eingeordnet werden. Krisenzeiten sind allerdings auch besondere Zeiten und polarisieren. Teile der Bevölkerung haben Angst, teilweise Wut, sowie das Gefühl, die Kontrolle über ihre Situation zu verlieren. Sie klammern sich an einfache, verständliche Erklärungen und übersehen, dass sie somit den Nährboden für Verschwörungstheoretiker bilden. In Zeiten der globalen Vernetzung, enormen Reichweiten und Filterblasen, geschaffen durch interessensbasierte Algorithmen, entsteht ein gefährlicher Mix: Propaganda und Fake-News, unter anderem höchstpersönlich befeuert durch den US-Präsidenten, erhalten Einheit und Fakten scheinen für einen nicht kleinen Teil der Bevölkerung keinen Wert mehr zu haben. Wie abstrus diese Theorien sein können? Hier einmal zwei Beispiele:
QAnon – Trump versus das Establishment versus das „Pizzagate“
Das „Pizzagate“: Hochgekocht im US-amerikanischen Wahlkampf 2017, wird diese Theorie nun wieder aufgewärmt und durch verschiedenste Komponente sogar erweitert. Die von rechten Anhängern propagierte Verschwörung besagt, dass im Keller einer New Yorker Pizzeria Kinder missbraucht, getötet und letztendlich zu einem Verjüngungstrank weiterverarbeitet werden. Die Drahtzieher? Linksgerichtete Politiker wie Hilary Clinton, Hollywood-Stars und gerne auch Personen des Establishments wie Bill Gates. Donald Trump, der Retter der Nation, ist allerdings kurz davor, die Kinder aus dem Keller zu befreien. Ein mediales Ablenkungsmanöver musste also her: das Corona-Virus.
Bill Gates und die totale Kontrolle
Bill Gates warnte bereits in früheren Tagen vor einer globalen Pandemie. Jetzt ist sie da und Bill sowie Melinda Gates sind die ganz großen wirtschaftlichen Profiteure. Sie wollen Zwangsimpfungen durchsetzen, heimlich Microchips einpflanzen und somit die Welt unter ihre Kontrolle bringen. Je nach Ausführung können auch 5G-Sendemasten eine Rolle spielen – in Großbritannien, Zypern oder auch der Niederlande standen diese sogar schon in Brand.
Auch in Deutschland verbreiten sich diese und diverse weitere Theorien über soziale Netzwerke oder Blogs, befeuert durch prominente Katalysatoren wie Xavier Naidoo, Ken-Jebsen oder Attila Hildmann. Zehntausende Menschen waren in den vergangenen Wochen auf den Straßen, um ihre alternative und ganz eigene Faktenlage darzustellen. Dass sich ihre Theorien teils selbst gegenseitig ausschließen und „Freiheitskämpfer“ sich mit Rechtsnationalisten, was sich logischerweise per se wiederspricht, zusammentun, scheint dabei nicht zu interessieren. Woran das liegt, erklärte unlängst die Wissenschaftlerin Pia Lamberty im Tagesspiegel:
Schon frühere Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass Menschen an Verschwörungstheorien glauben, die sich gegenseitig logisch ausschließen. So glaubten Menschen, die der Meinung waren, dass Lady Diana vom Geheimdienst umgebracht wurde, tendenziell auch eher daran, dass sie noch lebt. Das stört diese Menschen nicht. Es gibt so etwas wie eine Verschwörungsmentalität (...) Eine Verschwörungstheorie strukturiert die Welt auf bedrohliche Weise. Aber sie gibt vermeintlich Halt, weil man zu wissen glaubt, wie die Dinge funktionieren. Studien zeigen: Wenn große Ereignisse passieren – wie zum Beispiel der Tod von Lady Diana – dann glauben Menschen, das muss große Ursachen haben. Die Verschwörungserzählung kann Dingen einen Sinn geben. Das macht Ereignisse handhabbarer, als wenn sie einfach zufällig passieren. Interessant ist zudem noch ein zweiter Punkt: Der Glaube an Verschwörung befriedigt auch das Bedürfnis einzigartig zu sein (Tagesspiegel, 20.04.2020).
Verschwörungstheorien sind dabei meist nach demselben Schema aufgebaut, folgen immer denselben Argumentationsketten und nutzen psychologische Kniffe, wie Holm Gero Hümmler, Buchautor und Forscher über Verschwörungsmythen, in der hessenschau preisgibt:
Die Behauptung ist einer der Grundsätze der Verschwörungstheoretiker: Ihr glaubt alles, wir wenigen wissen aber Bescheid. Wer dann nach Belegen für ihre Behauptungen fragt, bekommt zur Antwort: Dass es keine Beweise gibt, beweist erst recht, wie mächtig die Verschwörung ist (…) Menschen sind für ihr Überleben darauf angewiesen, schnell Muster zu erkennen. Und lieber erkennen sie eines zu viel als zu wenig. Wer im Dunkeln zwei helle Punkte auf sich zukommen sieht, springt lieber zur Seite, weil er denkt, es ist ein Auto, auch wenn es vielleicht nur zwei Spaziergänger mit Taschenlampen sind (hessenschau, 10.05.2020).
Einen „Grundkurs Desinformation“ liefert die Plattform klimafakten.de. Unter dem Namen P-L-U-R-V wird illustriert erklärt, welchem Schema Verschwörungstheoretiker in ihrer Argumentation folgen: Pseudo-Experten, Logik-Fehler, Unerfüllbare Erwartungen, Rosinenpickerei und Verschwörungsmythen. Denn auch die Klimadiskussion, wir erinnern uns alle, wurde und wird heiß diskutiert.
Der Infokrieg und das Dilemma der Medien

Krisenzeiten und polarisierende Themen wie der Klimawandel scheinen zu spalten. Auf der einen Seite gewinnt der Qualitätsjournalismus an Zulauf – allerdings gilt gleiches auch für Verschwörungstheoretiker und neue rechte Medienmacher, wie es das Reportageformat "Rabiat" in einer beeindruckenden und teils erschreckenden Reportage (Infokrieger – Die neuen rechten Medienmacher) darstellt.
Für eine Demokratie gilt es, die Pressefreiheit und den Artikel 5 des Grundgesetzes zu schützen: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern.“ Dabei müssen sich Journalisten auch ihrer Verantwortung bewusst sein: Menschen bringen Nachrichtenorganisationen Vertrauen entgegen, mehr als der Politik, so eine Studie des Reuters Institute for the Study of Journalism. Ein seriöser Umgang mit Informationen und deren Aufbereitung ist also Pflicht.
Ein Seriöser Umgang, die Dokumentation und Aufklärung von Unwahrheiten und die Einordnung bringen Qualitätsmedien allerdings auch in ein Dilemma, wie es Professor Dr. Jan-Werner Müller jüngst in der Frankfurter Allgemeinen auf den Punkt bringt: „Um Ausgewogenheit zu dokumentieren, müssen sie auf Desinformationskampagnen reagieren. Wer profitiert?“ (Frankfurter Allgemeine, 30.04.2020).
Wer profitiert? Diese Frage lässt sich wohl nicht abschließend beantworten. Fakt ist: Verschwörungstheorien, Lügen und schlicht falsch dargestellte Informationen verbreiten sich über soziale Netzwerke innerhalb kürzester Zeit und finden enormen Zulauf. Legitimiert von höchster Instanz und mitinszeniert durch mächtige Medienhäuser und Verbreitungsplattformen. In Deutschland flammte jüngst der Zwist zwischen der „Bild“ und dem Virologen Christian Drosten auf, ausgetragen vor einem Millionenpublikum. Das Axel Springer-Blatt verbreitete ihre Analyse von Drostens Arbeiten über die hausinternen mächtigen Medienkanäle. Der Virologe tat dies über seine – Twitter und seinen viral gegangenen Podcast. Viele Einordnungen und Stimmen gibt es hier im turi2-Newsletter vom 30.05.2020.
Dass soziale Netzwerke eine enorme Reichweite besitzen und somit auch für die Verbreitung von „Fake News“ missbraucht werden, regte zumindest Twitter zu einem neuen Schritt an: dem Faktencheck. Die Folge ist ein Kleinkrieg zwischen Donald Trump und Twitter, wie es die Frankfurter Rundschau festhält:
Donald Trump hat die Woche für einen juristisch fragwürdigen Krieg gegen seine Lieblingsplattform Twitter genutzt. Ein bemerkenswerter Vorgang: Der US-Präsident kämpft dort mit den Mitteln der politischen Exekutive für das vermeintliche Recht, weiterhin Lügen zu verbreiten (Frankfurter Rundschau, 30.05.2020).
Das Dilemma der Qualitätsmedien also bleibt: Denn ihre seriöse Berichterstattung, welche wirtschaftlich limitiert ist und letztendlich rentabel sein muss, steht kontrahierenden Gegnern gegenüber:
Den Streuern von bewusst falsch inszenierten Fakten oder gar Lügen und Verschwörungstheorien – verbreitet über ebenso mächtige Medienkanäle, welche den klassischen längst Konkurrenz machen.
Wie man mit all dem Quatsch nicht den Verstand verliert? Simon Hurtz aus dem Digital-Team der Süddeutschen Zeitung findet die wohl besten einordnenden Worte:
In einer Zeit, in der selbst der US-Präsident unwissenschaftlichen Nonsens verbreitet, fällt es manchmal schwer, den Verstand zu bewahren. Da kann es helfen, das große Ganze im Blick zu behalten: Ein paar Hunderttausend teilen Nonsens, ein paar Hundert drehen durch, aber viele hundert Millionen Menschen begegnen der Krise ohne Paranoia und Verschwörungsglauben (Süddeutsche Zeitung, 09.05.2020).