
(Medientage, 2020) Google, Facebook, Amazon – die drei globalen Digital-Plattformen zählen zu den wenigen Gewinnern der Corona-Krise, die den Medienmärkten generell schwer zugesetzt hat. Die
„Digital Giants“ werden 2020 in Deutschland erstmals einen Werbemarktanteil von etwa dreißig Prozent erreichen. So lautet eine aktuelle Prognose der Organisation der Mediaagenturen (OMG). Bei den
MEDIENTAGEN MÜNCHEN wurde nun über das Risiko diskutiert, dass aus dieser Marktmacht auch ein Datenkartell entstehen könnte – allen voran durch zwei Projekte, die von Google forciert werden. Die
werbungtreibende Wirtschaft möchte nämlich eine marktübergreifende Reichweiten- und Nutzungsmessung haben, auf Basis eines einheitlichen Standards für den zunehmend fragmentierten Bewegtbildmarkt
aus linearem Fernsehen und non-linearen Online-Video-Angeboten.
Dorothee Belz vom Beratungsunternehmen Go Digit stellte die Projekte und ihre möglichen Implikationen für den Markt vor. Demnach hat Google im August 2019 angekündigt, „Third Party Cookies“ zu
blocken und den eigenen Browser Chrome über die „Sandbox“-Technologie so weiterzuentwickeln, dass darauf alle Daten verarbeitet werden können, die für den Werbemarkt relevant sind: von den
User-Daten über die Preisfindung bis hin zu den Kampagnenberichten. Hat ein Nutzer einmal zugestimmt, wird sein gesamtes Nutzungsverhalten über eine Software im Browser aufgezeichnet. „Diese
Informationen werden im Browser monopolisiert“, kritisierte Dorothee Belz. In der Konsequenz würden Nutzerprofilierung, Kampagnensteuerung und Preisfindung komplett von Google übernommen. Das
Unternehmen werde damit zu einem Gatekeeper der digitalen Werbewelt.
Davon unabhängig hat der globale Werbeverband, die World Federation of Advertisers (WFA), ein Projekt für einen globalen marktübergreifenden Bewegtbildstandard zur crossmedialen Leistungsmessung
gestartet. Das technische Design hierfür wird wiederum maßgeblich von Google entwickelt und gestellt. „Google hat mit beiden Projekten das Potenzial, das weltumspannende Ökosystem für den
Werbemarkt zu werden“, erläuterte Dorothee Belz. Natürlich berge ein weltweiter Standard für vergleichbare Messsysteme große Vorteile, allerdings dürfe Google dadurch nicht zu einem universellen
Kampagnenanbieter auch für nationale Medien wie etwa TV-Programmanbieterwerden.
Birgt das ambitionierte WFA-Projekt für einen weltweiten crossmedialen Messansatz also mehr Risiken als Chancen? Andrea Tauber-Koch, Media-Managerinder Commerzbank AG und stellvertretende
Vorsitzende der Organisation der Werbungtreibenden im Markenverband (OWM), stellte während ihres Video-Interviews klar: „Wir haben Golden Rules definiert und die grundlegenden Prinzipien
festgelegt, um eine crossmediale Leistungsmessung im deutschen Markt umzusetzen.“ Zu diesen Prinzipien zähle die Prüfung des neuen Ansatzes durch die AGF Videoforschung als neutrales Joint
Industry Committee (JIC)sowie die Gewährleistung von vollständiger Transparenz, Neutralität, Unabhängigkeit und die Einhaltung von Regeln.
Die Bedenken der TV-Programmanbieter gegen das WFA-Projekt konnte Tauber-Koch daher nur bedingt nachvollziehen. Es sei schließlich ein Problem, dass es bislang keine Messsysteme gebe, die die
vollständige Marktrealität abbilden könnten. „Wir wollen eine Lösung, die komplett transparent und nachvollziehbar ist, und werden nicht dulden, dass einzelne Player hier die Oberhand gewinnen“,
betonte sie. Das von Google und Facebook vorgelegte Konzept eines technischen Frame-works sei vielversprechend, allerdings dürften die über viele Jahre entwickelten deutschen Messstandards nicht
unterlaufen werden: „Wir nehmen alle unsere Marktpartner beim Wort und an die Hand und bauen auf die Bereitschaft zu einer konstruktiven Zusammenarbeit.“ In diesem Zusammenhang räumte die
OWM-Vertreterin ein, dass auch ihr Verband die Marktanteilsgewinne der Digital Giants mit Sorge beobachte. „Auf deutscher und europäischer Ebene sehen wir hier die Wettbewerbspolitik gefordert,
die nötigen Konsequenzen zu ziehen“, forderte Tauber-Koch.
Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamts, erklärte, dass seiner Behörde die Bedenken und Vorbehalte gegen die drei großen Digitalunternehmen Google, Facebook und Amazon sehr bewusst
seien. Es handle sich um Unternehmen, die einerseits Infrastruktur für Dritte zur Verfügung stellten und andererseits selbst auf diesen Plattformen ihre Dienste anböten. „Bei solchen
Hybrid-Plattformen sehen wir immer ganz genau hin, denn hier kann es zu Interessenskonflikten kommen und das Missbrauchspotenzial wie etwa bei Google groß sein.“ Deshalb habe das Bundeskartellamt
auch bereits 2018 eine Sektor-Untersuchung im Bereich Online-Werbung eingeleitet, die die Funktionsweisender Branche, die Erhebung und Verwendung von Daten sowie auch das Thema Messung unter die
Lupe nehme. Als „Rechtsanwendungsbehörde“ sehe sich das Bundeskartellamt im Spannungsfeld zwischen einer äußerst dynamischen digitalen Wirtschaft und dem Anspruch, eine saubere rechtliche und
ökonomische Beurteilung vornehmen zu müssen.
Hoffnungen setzt Mundt dabei auf die anstehende Novellierung des Kartellrechts. Dadurch könne seine Behörde künftig Unternehmen identifizieren, die eine überragende marktbeherrschende Stellung
einnehmen, sogenannte „supermarktbeherrschende Unternehmen“. Diesen könnte das Bundeskartellamt in Zukunft schon im Voraus bestimmte Verhaltensweisen untersagen, beispielsweise sich selbst zu
bevorzugen oder Marktzutrittsschranken über Daten zu errichten, und frühzeitig einschreiten, sollten solche superdominanten Unternehmen nur unzureichend über erbrachte Leistung informieren. Dies
sei dann etwa bei der Reichweitenmessung anwendbar. Der Präsident des Bundeskartellamts lobte in diesem Zusammenhang den europäischen Digital ServicesAct: „Das ist eine gute Initiative, die aber
mit dem nationalen Kartellrechtineinander greifen muss, um möglichst viele und schnelle Verfahren sowohl in Brüssel sowie in den einzelnen Ländern durchführen zu können.“