
(Medientage, 2020) Die Corona-Krise hat das Phänomen der Desinformation im Internet spürbar verstärkt. Regulatorische Lösungen sind allerdings nicht einfach zu finden, denn im Kampf gegen Fake
News muss auch das Gut der Meinungsfreiheit mit bedacht werden. Diesem Spannungsfeld widmete sich eine von der Gremienvorsitzendenkonferenz der Medienanstalten (GVK) veranstaltete digitale
Panel-Diskussion im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN.
Der Vorsitzende der GVK, Prof. Dr. Werner Schwaderlapp von der Landesanstalt für Medien NRW, stellte einleitend ein Positionspaper vor. Dessen Prämisse: Die Freiheit der Meinungsäußerung und der
Meinungsbildung dürfe beim Kampf gegen Desinformation nicht eingeschränkt werden. Plattformen müssten die Vielfalt der Meinungen berücksichtigen und das gesellschaftliche Meinungsspektrum
unverzerrt darstellen. Transparenz über die Zusammenstellung der Informationen und Meinungsäußerungen – wie zum Beispiel durch Kennzeichnung von Social Bots, von politischer Werbung sowie von
„coordinated inauthentic behaviour“ – sei dazu ebenso erforderlich wie die Einhaltung journalistisch-redaktioneller Sorgfaltspflichten.
Bestimmte Typen von Falschinformationen müsse eine demokratische Gesellschaft aushalten und im Diskurs verarbeiten, sagte Schwaderlapp. Um das hohe Schutzgut Meinungsfreiheit zu sichern und einen
transparenten Umgang mit Desinformation zu gewährleisten, wünsche er sich eine einheitliche und staatsferne Regulierung. Diese müsse darüber hinaus auch durch die Unterstützung und Verstärkung
der Medienkompetenz der Nutzer ergänzt werden.
Die verschiedenen Formen der Desinformation hat Dr. Judith Möller, Assistenzprofessorin für politische Kommunikation an der Universität Amsterdam, gemeinsam mit Kollegen im Auftrag der
Landesmedienanstalten mit einem Gutachten aus kommunikationswissenschaftlicher und rechtswissenschaftlicher Perspektive untersucht. Dieses Gutachten spiegle im Wesentlichen den
wissenschaftlichen Forschungsstand des Themas wider, erklärte Möller. Grundlage des Gutachtens ist eine Typisierung von Desinformation, die von der „ungenauen Berichterstattung“ über die
„absichtliche Dekontextualisierung“ bis hin zur „bewussten Falschinformation“ und Propaganda ein breites Spektrum aufweise.
In der Definition und Typisierung der verschiedenen Ausprägungen von Desinformation, wie sie das Gutachten für die Landesmedienanstalten zusammengefasst hat, sieht Dr. Tobias Schmid, Direktor der
Landesanstalt für Medien NRW, eine Grundlage für rechtliche Konsequenzen und mögliche Regulierungsmaßnahmen. Er kritisierte jedoch eine Verwässerung der Diskussion durch den Streit über
Datenzugänge und Methodiken. Bisherige Einzelfallentscheidungen ergäben zudem offene Fragen auch für gesetzliche, strukturelle und prozedurale Vorgaben. Es fehle ein Rechtsrahmen, aus dem sich
ein regulativer Eingriff und Sanktionsmöglichkeiten entwickeln ließen. „In der Diskussion kristallisiert sich aber immer mehr heraus, dass der Normgeber dafür auf europäischer Ebene gefunden
werden müsste“, sagte Schmid.
Anika Geisel, bei Facebook als Public Policy Lead für Wahlen in Europa, dem Nahem Osten und Afrika zuständig, begrüßte das Gutachten, das Desinformation klareinordne. Es habe sich gezeigt, dass
95 Prozent der Nutzer nicht auf Facebook-Informationen eingehen würden, wenn sie zuvor darüber aufgeklärt worden seien, dass es sich möglicherweise um falsche Informationen handeln könne.
Facebook selbst wolle nicht über den Wahrheitsgehalt von Informationen entscheiden. Deshalb arbeite Facebook in Deutschland mit unabhängigen Faktencheckern des Recherchebüros Correctiv sowie der
Nachrichtenagenturen dpa und AFP zusammen. Medien seien ein derart sensibler Bereich, dass eine Regulierung nur vom Gesetzgeber erfolgen könne. Insbesondere müssten künftige Begriffe wie der der
politischen Werbung genauer definiert werden. Klare Definitionen forderte auch Tobias Schmid, außerdem einen unabhängigen Zugang zu den Informationen, ob Auflagen erfüllt worden seien oder nicht,
sowie einen Sanktionskatalog.