
Digital, synthetisch und für immer jung? Vision oder Alptraum? Der Linguist, Autor und Futurist Mark Palatucci skizziert ein einer Live-Zuschaltung aus New York im Rahmen der MEDIENTAGEMÜNCHEN,
wie sich die Zukunft der Filmproduktion durch den Einsatz von Avataren, also künstlichen digitalen Abbildern von Menschen, verändern könnte.
Nicht nur alternde Entertainmentgrößen ließen sich in Hollywood bereits jetzt digital vermessen, um in Formzeitloser Avatare unbegrenzt weiterarbeiten können. Unter dem Stichwort „Deepfake“
erklärte Mark Palatucci anhand des Videos einer gefakten Nixon-Rede zur Apollo-Mission 1969 den schon jetztausgereiften Zustand synthetischen Contents. Doch Avatare können nicht nur wirkliche
Menschen kopieren, sie können sie auch virtuell ersetzen: Mit Lil Miquela nahm die renommierte Agentur Creative Artists Agency (CAA) im Mai 2020 die erste virtuelle Klientin, die bislang
als Influencerin auf Instagram eingesetzt worden war, „unter Vertrag“. Die stylishe Teenager-Avatarin, ein Produkt des Startups Brud aus Los Angeles, soll künftig bei Werbekunden und auch in
Filmen platziert werden.
Nicht mehr (nur) mit Talenten aus Fleisch und Blut arbeiten zu müssen, bringt der Produktionswirtschaft nach Ansicht von Palatucci einige Vorteile: Mittels Deepfake-Algorithmen könne man die
Stimmen der Schauspielerperfekt Fremdsprachen sprechenlassen. Damit erübrige sich eine teure Synchronisation. Weiterhin werde es möglich, dass einzelne Personengleichzeitig mehrere Rollen
übernehmen: Dies erhöhe finanziellen Gewinn und Karrierechancen und erleichtere die Produktions-Logistik. Alterungsprozesse und gesundheitliche Probleme würden künftig keine Rolle mehr spielen:
Die Künstler werden allzeit verfügbar, und zwar auf einer Ebene, auf der sich die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion zunehmend verwischen. Nicht zuletzt durch intelligente Brillen ließe
sich die Realität auch über den Film hinaus endgültig an individuelle Bedürfnisse anpassen. „Wenn sie eine Welt wollen, in der alle immer lachen, können Sie sie erschaffen“, versprach
Palatucci.
„Creepy stuff“ lautete dazu der Kommentar von Moderator Richard Gutjahr, der in diesem Szenario auf den Wahrheitsbegriff zurückkam: Wer werde in Zukunft bestimmen, was „echt“ und was künstlich
sei? Man müsse darauf hoffen, antwortete Palatucci, dass die Unternehmen kennzeichneten, wenn Inhalte künstlich verändert worden seien. Er glaube nicht daran, dass Firmen oder Organisationen uns
in Zukunft vorschreiben, was wir zu glauben haben und was nicht. „Als Spezies brauchen wir gemeinsame Erfahrungen, über die wir uns alle verständigen können“, sagte der Experte, der sich selbst
als Futurist bezeichnet, und versprach: „Der Wert der physischen Welt wird erhalten bleiben.“