TV-Gipfel – This is Streaming NOW

(Medientage, 2020) Der sechzehnte Digitalisierungsbericht Video der Landesmedienanstalten hat gezeigt, dass sich der Bewegtbildmarkt in Deutschland und Europa weiter in Richtung Streaming und Mediatheken entwickelt – auch wenn die Corona-Pandemie gleichzeitig ebenso den klassischen Fernsehkonsum gesteigert hat. Jeder dritte Deutsche, so zitierte Moderator Thorsten Zarges den Bericht zu Beginn des TV-Gipfels der MEDIENTAGEMÜNCHEN, nutze Netflix, jeder vierte Amazon Prime. Doch wo bleiben die anderen, die nationalen Anbieter wie Joyn oder die ARD-Mediathek? Die Teilnehmer der Diskussion zeigten sich zuversichtlich, dass es für alle ausreichend Platz im künftigen deutschen Online-Bewegtbildmarkt geben werde.

Zu Beginn erzählte Carolin Kebekus, Comedian und Moderatorin, im „Fireside“-Gespräch vom Erfolg ihrer Sendung „Die Carolin Kebekus Show“. Die Personality-Show war ausgerechnet zu Beginn der Corona-Pandemie an den Start gegangen und entwickelte sich nicht nur im klassischen Fernsehen zu einem Erfolg für die ARD. Auch in den sozialen Online-Netzwerken sorgten die ausgekoppelten oder manchmal auch nur für Social Media produzierten Videos mit haltungsstarken Inhalten für Aufmerksamkeit. Die Tatsache, dass kurzfristig ohne Studiopublikum und ohne festes Bühnenbild gedreht werden musste, sei in gewisser Hinsicht „das Beste gewesen, was passieren konnte“, sagte Kebekus.  Es habe zu mehr Flexibilität und Kreativität geführt.  Mit der Bild-und-Tonfabrik, die die Show produzierte, habe man gezielt im Internet einzelne Stücke platziert und sogar Tiktok bespielt. Letzteres Netzwerk, so gestand Kebekus, habe sie allerdings immer noch nicht richtig verstanden. Im Internet benötige jede Zielgruppe ein eigenes Angebot. „Man kennt es ja von sich selber, dass man kaum noch zur selben Uhrzeit vor dem Fernseher sitzt“, sagte die Kölnerin, die seit kurzem mit ihrer Firma „Unterhaltungsflotte TV“ auch zur Produzentin geworden ist.

Die Expertinnen und Experten der anschließenden TV-Gipfel-Diskussion im Rahmen der digitalen MEDIENTAGE MÜNCHEN demonstrierten generell große Zufriedenheit mit den gestiegenen Nutzungszahlen ihrer Angebote–auch wenn sie zum Teil Auswirkung der Corona-Pandemie sind. Kai Finke, Chef des Bereichs Content Acquistions & Co-Productions bei Netflix für den deutschsprachigen Raum und Osteuropa, geht davon aus, dass seine Firma auf hohem Niveau weiterwachsen wird: „Ich glaube, dass der Programmbedarf ungebrochen hoch sein wird.“ Die Zuschauer seien nicht nur häufiger, sondern auch länger auf der Plattform „unterwegs gewesen“. Ähnliches berichtete sein Kontrahent Dr. Christoph Schneider, verantwortlich für die Content-Strategie des Streaming-Anbieters Amazon Prime Video in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Filme seien zum gemeinsamen Ansehen in den Familien besonders beliebt gewesen, berichtete Schneider. Auch Angebote für jüngere Zielgruppen seien starknachgefragt worden. Die Werbekampagne von Disney+ habe zudem geholfen, Streaming bekannter zu machen. Noch lange sei der deutsche Streaming-Markt nicht gesättigt: „Es gibt immer noch ein sehr großes Potenzial!"

Katja Hofem, die Geschäftsführerin von Joyn, einem Gemeinschaftsunternehmen der Medienkonzerne ProSiebenSat.1 Media und Discovery, sieht sich von Netflix und Amazon nicht bedroht und hält es auch nicht für die Aufgabe von Joyn, in irgendeiner Form zu den US-Amerikanern aufzuschließen. „Als lokaler Anbieterwollen wir den deutschsprachigen Markt bedienen“. Sie sei „sehr, sehr zufrieden“ mit der Entwicklung von Joyn. Die Pandemie habe die Branche insgesamt zusammengeschweißt und innovativer gemacht. Florian Hager, Channel Manager der ARD-Mediathek und stellvertretender Programmdirektor in der Programmdirektion Erstes Deutsches Fernsehen, möchte vor allem bei der jungen Zielgruppe Boden gutmachen. „Wir sind late to the party“, formulierte Hager. „Das darf nicht so bleiben.“ Bei den Öffentlich-Rechtlichen dauere zwar alles ein bisschen länger, aber, so kündigte Hager an: „Wundert Euch nicht, wir werden aufholen!“ Als Asset habe die ARD auch die Aktualität mit im Portfolio, wie allein schon die hohen Abrufzahlen der Tagesschau zeigten. Er bestätigte die Meinung der anderen Diskussionsteilnehmer, dass der Markt gerade erst im Aufbruch sei: „Wir werden alle unseren Platz finden.“

Hager wie Hofem setzen als Verantwortliche von nationalen Anbietern vor allem auf Eigenproduktionen.  Während der Krise hätten sich, wie Hofem anmerkte, Reality-Formate als gut und schnell umzusetzende Produkte, die gleichwohl vom Publikum honoriert würden, bewährt. Überhaupt sei Joyn, was die Umsetzbarkeit von Produktionen angehe, noch „mit einem blauen Auge davongekommen“. Gleichwohl wache sie nachts ab und zu schweißgebadet auf, wenn sie an die nahe Zukunft denke. Auch Kai Finke von Netflix und Christoph Schneider von Amazon Prime bestätigten, dass sie wichtige Produktionen im Großen und Ganzen weiterführen konnten. Netflix konnte sogar, wie Kai Finke erklärte, Filme und Serien lizensieren, die ursprünglich gar nicht für den Streamingdienst gedacht waren. Die Preise habe man für die Produzenten allerdings nicht gedrückt. Auch Schneider betonte, ein solches Vorgehen sei ohnehin „dämlich“. „Wir sind Partner und wir brauchen uns gegenseitig“, betonteer mit Blick auf die Produzenten.

Auch ARD-Programmplaner Hager unterstrich die Bedeutung der Produzenten für seine Sendergruppe und seinen Willen, analoge und digitale Verbreitung zukünftig mehr als Einheit zu verstehen. „Wir wollen eine integrierte Verbreitungsstrategie“, sagte Hager. Die lineare Verbreitung spreche eher Menschen ab dem Alter 50+ an, aber in der Zielgruppe der Jüngeren sei die ARD leider nicht mehr Marktführer im Bewegtbildbereich. Irgendwie müsse man den „Kulenkampff-Modus und den Netflix-Modus“ zusammenbringen. Um Portfolio-Lücken zu schließen und Geschwindigkeit aufzunehmen, seien Lizenzeinkäufe natürlich wichtig, aber langfristig setze er auf Eigenproduktionen.

Christoph Schneider von Amazon gab allerdings zu bedenken, dass die „young adults“ immer schon von US-amerikanischen Angeboten angezogen worden seien. Erst wenn man älter werde, schaue man „nationaler“. Kai Finke von Netflix bestätigte den Eindruck, dass seine Plattform verstärkt auf Dokumentationen setze, auch auf deutschsprachige. „Wir hatten schon immer viel Non-Fiction auf der Plattform, aber in diesem Jahr wurde sie mehr wahrgenommen“, berichtete Finke. Aber man baue diesen Bereich weiter aus. 2019 habe Netflix sieben deutschsprachige Dokumentationen im Angebot gehabt, in diesem Jahr seien es zwanzig.

Auch Katja Hofem kündigte Weiterentwicklungen an. Die Plattform Joyn habe von Anfang an als Aggregator für viele Anbieter gedient. „Wir müssen mehr in Partnerschaften denken, das wird sich noch intensivieren“, verriet die Geschäftsführerin von Joyn. Mehr aber könne sie jetzt noch nicht sagen.