
(Medientage, 2020) Der Diversity-Gipfel der MEDIENTAGE MÜNCHEN hat die Verantwortung von Entertainment- und Medienbranche beleuchtet, aktiv Repräsentation und Gleichberechtigung von Menschen
aller Hautfarben, Geschlechter und Herkunft zu fördern – vor und hinter der Kamera. Plädiert wurde von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung vor allem für ein
selbstverständlicheres Abbilden der schon vorhandenen gesellschaftlichen Realitäten.
Nana Addison ist Beraterin und Gründerin von Curl Agency, einer in Berlin ansässigen Agentur, die sich auf ethnisch und kulturell vielfältige Markenberatung, Aktivierung und Eventproduktion
spezialisiert hat. Die Deutsche mit ghanaischen Wurzeln attestierte den Medien in Deutschland „Eindimensionalität“. Ein Viertel der Menschen in Deutschland, also alle Einwohner mit nichtdeutscher
Familiengeschichte, würden nicht von den Medien repräsentiert. Wenn es um Zielgruppenansprache gehe, tue man deshalb gut daran, sich eine „User Persona“ aus fünf Schichten vorzustellen. Diese
Schichten seien „Gender, Race, Ethnie, Kultur und Nationalität“. Race bedeute nicht „Rasse“. Der Begriff sei, sobetonte Addison, ohnehin nur ein politisches Konstrukt. Er beschreibe die äußeren
sichtbaren Merkmale einer Person. Unter Ethnie versteht Addison die kulturelle Zugehörigkeit eines Menschen, unter Kultur den Lebensstil, etwa den Musikgeschmack einer Person. Diversität schaffe
Qualität, sagte die Beraterin. Behalte man diese fünf Schichten bei der Medienproduktion im Hinterkopf, entstünden „interessantere Geschichten für ein interessanteres Deutschland“.
Aus Amsterdam zugeschaltet, beschrieb Rachel Eggebeen aus Sicht eines Streaming-Anbieters den Zugang zu einer diversen Realität. Sie verantwortet die Produktion deutschsprachiger
Netflix-Originals in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Als globale Plattform spreche Netflix ohnehin zu einer diversen Welt, erläuterte Eggebeen. Die Diversität der Produkte ergebe sich
nicht aus einem Kalkül heraus oder aus bestimmten Regeln, die sich Netflix verordnet habe: „Unser Ziel ist es, groß-artige Geschichten zu erzählen.“ Diversität entstehe „auf natürlichem Wege“
daraus, dass man authentische Geschichten erzähle. Als Beispiel nannte sie die Serie „Unorthodox“, die unter anderem an einer Berliner Musikschule spielt. Es sei selbstverständlich gewesen, so
Eggebeen, dass diese fiktive internationale Einrichtung eine Bandbreite diversen Schülern beherberge. Netflix selbst habe keinen „idealen Zuschauer“, sondern solle möglichst viele Menschen
mit möglichst einzigartig erzählten Geschichten erreichen.

Wie die Diversität der Wirklichkeit bei Produktionen in Deutschland abgebildet werden kann, vertiefte Moderatorin Nazan Eckes im anschließenden Gespräch mit drei Talkgästen. Die mehrfach
preisgekrönte Regisseurin und Autorin Soleen Yusef, die auch schon für Netflix gearbeitet hat, bestätigte, dass durch die Streaming-Anbieter eine neue Breite für fiktionale Geschichten geschaffen
werde: „Die Streamer wirbeln da etwas auf.“ Im klassischen Fernsehen würde eher das erzählt, was schon bekannt sei.
Diese Meinung vertrat auch Nataly Kudiabor, Produzentin bei UFA Fiction. „Produzenten und Autoren brauchen ja auch Partner“, sagte sie. Wenn man ein Gegenüber habe, das zum Beispielaus einer
nicht-weißen Community stamme, dann helfe das schon, Geschichten mit anderen Inhalten und Hauptrollen produzieren zu können. Auch Christoph Pellander, Leiter von Redaktion und Programm-Management
bei der ARD-Produktionstochter Degeto, bestätigte, dass die Fiction-Branche an vielen Stellen noch zu sehr von „weißen Bildungsbürgern“ geprägt sei. „Es muss sich was bewegen, aber es bewegt sich
auch was“, sagte er. Die Degeto habe sich feste Ziele gesetzt, diversere Geschichten zu erzählen, aber man sei noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen. Auf Quoten schiele man in diesem
Zusammenhang nicht.
Sowohl Soleen Yusef als auch Nataly Kudiabor zeigten sich überzeugt davon, dass sie speziell als Frauen sensibilisierter seien für die Dringlichkeit, mehr Diversität abzubilden. Degeto-Mann
Pellan der setzt in puncto Vielfalt und Diversität auf die Vorteile der digitalen Ausspielwege. „Wir können über die ARD-Mediathek viel flexibler agieren“, berichtete er. Man könne nun
Geschichten unabhängig von den zeitlichen und erzählerischen Gegebenheiten des Hauptabendprogramms erzählen und ganz andere, vor allem junge Zielgruppen ansprechen. Als Beispiel nannte er die
sechsteilige, jeweils 20-minütige Serie „All you need“. Dass dort vier schwule Männer Protagonisten seien, komme natürlich als Idee „Jahre zu spät“, räumte er ein. Ohnehin müsse es das Ziel der
Fiktion sein, viel mehr Selbstverständlichkeiten zu zeigen.
Yusef und Kudiabor unterstrichen, wie wichtig es in diesem Zusammenhang sei, zum Beispiel Migranten und People of Color nicht nur als „Maskottchen“ (Stichwort „Tokenism“) zu zeigen, sondern sie
zum Zentrum von Serien und Filmen zu machen. Yusef plädierte dafür, auch deutsche Geschichte einmal aus der Sicht derjenigen zu schildern, die man sonst nicht sehe. Kudiabor sieht die „visuellen
Storyteller“ in einer besonderen Verantwortung, „weil wir die neuen Bilder schaffen“. Fiktion, so die einhellige Meinung, sei nicht unbedingt Dokumentation, sie könne auch zeigen, wie das Leben
im besten Sinne sein könnte. Aber, so Yusef: „Es wäre schon ein großer Schritt, den vielfältigen Alltag einzufangen.“
Die Welt abbilden, wie sie ist, sollen auch die Nachrichtenmedien. In einer weiteren Runde diskutierten Journalistinnen und Journalisten sowie Moderatorinnen und Moderatoren über Diversität in
den News. Die Politikwissenschaftlerin Sham Jaff betreibt seit 2014 den Newsletter „What happened last week“. In ihrer englischsprachigen Publikation will sie ein globales Publikum mit
unterrepräsentierten Nachrichten erreichen. Ihr Ziel sei es, in jeder Ausgabe alle großen Sprachregionen der Welt abzubilden. Es sei ihr wichtig, über Nigeria genauso zu schreiben wie es die
traditionellen deutschen Medien beispielsweise über Frankreich tun: als Land, das eben nicht nur aus islamistischem Terror bestehe.
Marcus Bornheim, Erster Chefredakteur von ARD Aktuell, räumte in puncto Diversität „einen ganz eklatanten Mangel“ ein. Das betreffe weniger die Themen als die Zusammensetzung der Redaktionen.
Dort habe vielfach ein deutsches weißes Bildungsbürgertum das Sagen. „Wir sind dabei, das zu beheben“, sagte er, aber: „Wir haben gar nicht so sehr die Auswahl.“ Zumindest sei es schwer, über
klassische Wege an Journalistinnen und Journalisten heranzukommen, die diverse kulturelle Hintergründe haben. Das betreffe übrigens auch ostdeutsche Kollegen, die kaum in Hamburg beschäftigt
seien.
Die Moderatorin und Journalistin Aminata Belli, die sich unter anderem in den „followme.reports“ des öffentlich-rechtlichen Online-Medienangebotes funk Themen wie Rassismus widmet, fühlt sich
durchaus von Tagesschau und Tagesthemen angesprochen, wenn auch als schwarze Frau manchmal „nicht gesehen“. Sie bestätigte, dass es in den Redaktionen zu wenig Vielfalt gebe. Bei den
Präsentatoren sehe das durchaus anders aus, allerdings gebe es in diesem Fall eine Beschränkung auf schöne, schlanke Menschen. „Auch hier könnte das Bild vielfältiger sein“, forderte sie.
Nie wegen seiner Hautfarbe diskriminiert fühlte sich Patrick Dewayne. Der Wirtschaftsjournalist berichtet unter anderem als Börsenkorrespondent bei „Der Aktionär TV“ für den Nachrichtensender
Welt. Auch wenn er selber schon „argwöhnisch nachgefragt“ habe, sei er immer für seine Expertise auf dem Börsenparkett geschätzt worden. Im fiktionalen Bereich habe er allerdings als
Schauspieler, der er auch ist, durchaus erfahren, dass er eher in kleinen Rollen eingesetzt wurde. Aber auch in diesem Bereich gebe es Fortschritte. Er plädierte dafür, nicht immer „um die
Futtertröge zu streiten“, und appellierte an die Branche: „Wir müssen Verknüpfungspunkte herstellen.“
Diese Meinung teilte Marcus Bornheim: „Wir haben genug für alle, wir müssen nur unseren Blick weiten“. Er stellefest, dass sich Diversität am schnellsten im Social-Media-Bereich verbreite. Auf
diese Entwicklung setzt auch Sham Jaff. „Im linearen Fernsehen fühle ich mich nicht abgeholt“, sagte sie und verwies auf einen für viele wichtigeren Bildschirm: „Meine Freunde und meine Umgebung
sind vor allem mit dem Handy unterwegs.“