Aufschwung und Wertschätzung des klassischen Journalismus

(Medientage, 2020) Die Corona-Pandemie hat dem klassischen Journalismus einen enormen Aufschwung beschert. Nicht nur was seine Akzeptanz und Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung betrifft, fast alle Medien verzeichneten einen Aufschwung in ihren Auflagenzahlen, Einschaltquoten oder Abrufzahlen. Die Menschen sind zunehmend bereit für Inhalte zu zahlen. Nun sei es die Aufgabe der Medien, dieses Vertrauen zu erhalten und die Nutzer weiter mit Qualitätsjournalismus und neuen Formaten auch für junge Leute an sich zu binden. Das war die Ansicht aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Journalism Summit während der MEDIENTAGE MÜNCHEN.

Zum Auftakt der Veranstaltung warnte Professor Dr. Jay Rosen der New York University in seiner Keynote eindringlich vor amerikanischen Verhältnissen. Zunächst zeichnete er nach, wie Donald Trump Journalisten zu Hassobjekten degradierte sowie die moderne Wissenschaft in Zweifel ziehe. „Ich frage mich all die Zeit, wie konnte es in den USA, die als die älteste Demokratie der Welt gelten, so weit kommen?“, so Rosen. trauriges Fazit: Trump mag die kommende Wahl verlieren, aber die Propaganda hat gewonnen. Abschließend gab er den deutschen Journalisteneinige Tipps mit auf den Weg. So brauche seiner Meinung nach jedes Nachrichtensystem eine Art "Notfall"-Schalter, um auf Fake News reagieren zu können. Außerdem dürfe die Presse nie als die „wahre“ Opposition verstanden werden. Er plädierte an deutschen Kollegen das „historische Geschenk    des deutschen Mediensystems mit seinem öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ wertzuschätzen.

In der folgenden Diskussionsrunde ging es auch um die Frage, wie sich der Journalismus durch die Corona-Pandemie verändert hat. So erlebt der Wissenschaftsjournalismus derzeit eine Renaissance: „Plötzlich werden wir auf das Faktische zurückgeworfen, weil die Nutzer verzweifelt auf der Suche nach valider Information sind“, erklärte Jochen Wegner, Chefredakteur Zeit Online, der im Zuge dessen auch sein Wissensressort ausgebaut hat. Das bestätigte auch Judith Wittwer, Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung: „Durch die Coronakrise setzen wir verstärkt auf Fakten. Doch unsere Aufgabe ist es auch, kritische Fragen zu stellen und andere Meinungen zuzulassen“, mahnte sie. Wegner ergänzte: „Auch Wissenschaftler driften mal ab.“ Auch die Deutsche Welle habe ihren Faktencheck ausgebaut, bestätigte Chefredakteurin Manuela Kasper-Claridge. Sie plädierte aber auch dafür, die persönlichen Geschichten dahinter nicht zu vergessen. „Hinter den Fakten stecken Menschen und Schicksale. Der richtige Mix ist hier entscheidend.“

Dr. Alexandra Borchardt, die als Professorin des Studiengangs Medien.Kultur.Journalismus an der Universität der Künste in Berlin unterrichtet sowie an der Universität Oxford als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig ist, hält das für eine sehr erfreuliche Entwicklung: „Wir folgten hier in Deutschland viel zu lange der Logik des Politikjournalismus, indem ständig referiert wurde, was andere sagen. Journalisten sollten aber selbst die Agenda setzen“, forderte sie und warnte: „Jetzt besteht die Gefahr, dass man sich auf dem Zuspruch des Publikums ausruht. Denn die Nutzer werden bereits wieder überdrüssig und wenden sich ab.“ Dem stimmte Jörg Schönenborn, Programmdirektor beim WDR, zu und unterstrich, dass man jetzt in der zweiten Welle den Menschen Orientierung und Unterstützung bei ihren Entscheidungen geben müsse. Insgesamt habe er keine Angst vor amerikanischen Verhältnissen. „Ich habe Vertrauen in unsere Bevölkerung und deren Medienkompetenz.“ Rückblickend übte er aber auch Kritik an der journalistischen Arbeit in Deutschland: Durch den Zuspruch unseres Publikums, das ja auch zu einem großen Teil mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden war, waren wir nicht kritisch genug: „Wir hätten die einzelnen Maßnahmen stärker hinterfragen müssen. Das haben die Gerichte nachgeholt."

Neben der gestiegenen Wertschätzung des Qualitätsjournalismus bestätigten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass sie ihre Reichweiten erhöhen konnten. „Das stimmt sehr hoffnungsvoll“, freute sich Judith Wittwer. Alexandra Borchardt ergänzte, dass nicht nur die überregionale Presse, sondern vor allem auch die Lokalzeitungen einen riesigen Aufschwung erleben, da sie den Lesern vor Ort mit Rat zur Seite stünden. Manuela Kasper-Claridge sprach gar von „einer Wiedergeburt des Qualitätsjournalismus.“