
(Medientage, 2020) Das Problem Online-Hate-Speech nimmt zu. Dabei handelt es sich um die Herabwürdigung und Verunglimpfung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen im Internet. Ein großer Teil davon
gilt als mutmaßlich strafbar. Doch wenn Hassreden hauptsächlich von privaten Gruppen innerhalb digitaler Netzwerke im sogenannten Dark Social verbreitet werden, ist die Strafverfolgung sehr
schwierig. Dark Social, auf Deutsch etwa „geheimes soziales [Netzwerk]“, bezeichnet die Internetkommunikation, die über persönliche E-Mails, geschlossene Gruppen in sozialen Online-Netzwerken
oder Messenger-Dienste wie Whatsapp oder Telegram entsteht. Ein Wissenschaftler, eine Journalistin und ein Journalist, die sich intensiv mit dem Phänomen Hate Speechim Internet beschäftigt haben,
stellten im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN diese und weitere Erkenntnisse ihrer Projektevor.
Jens Struck, Mitglied im Forschungsverbund Radikalisierung im digitalen Zeitalter (RadigZ), eröffnete die Vortragsreihe mit seiner Perspektive als Soziologe. Von 2017 bis 2020 forschte er
innerhalb des Verbundprojektes „Radikalisierung im digitalen Zeitalter – Risiken, Verläufe und Strategien der Prävention“. „Online geäußerte Gewaltaufrufe, die auf
Ungleichwertigkeitsvorstellungen basieren, nahmen innerhalb des Forschungszeitraumes enorm zu“, stellte Struck fest. Aus Sicht des Wissenschaftlers existieren individuelle und gesellschaftliche
Risikofaktoren, die dazu führen können, dass sich Menschen radikalisieren. Zu den ersteren gehöre beispielsweise die mangelnde Integration von Menschen, sagte Struck. Ein gesellschaftlicher
Faktor könne zum Beispiel die soziale Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft sein. Die Kommunikation in digitalen Netzwerken, die unter anderem durch Anonymität, durch Depersonalisierung und
durch die Möglichkeit der unmittelbaren Reaktion gekennzeichnet sei, begünstige die Radikalisierung von Nutzern dieser Netzwerke. Im Rahmen seiner Forschungsarbeit identifizierte Struck drei
Typen extremistischer Gewaltaufrufe: Propaganda im Sinne von zielgerichteten Versuchen, politische Meinungen oder öffentliche Sichtweisen zu formen und Erkenntnisse zu manipulieren, auf
Affekthandlungen abzielende Aufrufe und Aufrufe zur Gewalt.
Martina Schories, Datenjournalistin bei der Süddeutschen Zeitung, referierte im Anschlussüber ihre Recherche zum kostenlosen Instant-Messaging-Dienst Telegram. „Auf Telegram können Gruppen mit
einer Größe von bis zu 200.000 Personen Textnachrichten, Sprachnachrichten, Fotos, Videos und Dokumente austauschen“, erläuterte Schories. Zum Vergleich: Bei WhatsApp liegt die Kapazitätsgrenze
bei nur 256Personen.Verschwörungsgruppen und rechtsradikale Gruppen ließen sich identifizieren. Telegram sei „ein Raum, in dem kaum Inhalte gelöscht werden, keine Widerrede und keine Kritik
geduldet wird“, erklärte Schories. Jeder, der den Messaging-Dienst nutze, könne jede vorhandene Community aufrufen und Daten einstellen. „Verschwörungspromis“ wie zum Beispiel die ehemalige
Tagesschau-Sprecherin Eva Herman generierten viel Aufmerksamkeit und dienten vor allem kleineren Gruppen als „Spreader von Verschwörungstheorien“, urteilte die Journalistin.
Robert Schöffel, Journalist bei BR Data, der Datenjournalismus-Einheit des Bayerischen Rundfunks, hielt zum Abschluss einen Vortrag über „private Facebook-Gruppen“. Den Datensatz für die
Facebook-Recherchehatte Schöffel mit Hilfe von Web Scraping erstellt, einer Technologie zur Gewinnung von Informationen durch gezieltes Extrahieren der benötigten Daten auf Webseiten. „In den
privaten Facebook-Gruppen ist das Ausmaß an rechtspopulistischen und rassistischen Beleidigungen sowie Gewaltandrohungen beeindruckend“, warnte Schöffel. Die Inhalte seien mutmaßlich strafbar,
aber „da die Löschung nur auf Hinweis erfolgen könne“, seien die privaten Gruppen auf Facebook „perfekte Echokammern“, deren Inhalte meistens nicht gemeldet würden. „Es gibt kein Korrektiv, und
die Nutzung privater Gruppen bei Facebook geht nach oben“, schloss Schöffel seinen Vortrag mit dem Hinweis auf eine gefährliche Entwicklung.